Über die Last des „Darandenkens“
Patricia Cammarata, vielen auch bekannt unter ihrem Blogger-Pseudonym „dasnuf“, ist Psychologin und Bestseller-Autorin. 2018 hat sie beim Female Future Force Day einen Vortrag zum Thema “Warum endet die Gleichberechtigung so oft mit der Geburt des ersten Kindes? Was die „Mental Load“ damit zu tun hat” gehalten und damit eine Welle losgetreten. 2020 ist daraus ihr Buch „Raus aus der Mental Load-Falle“ entstanden und der Begriff eigentlich nicht mehr wegzudenken. Wir haben Sie gefragt, was es mit der Mental Load auf sich hat und wie Paare es schaffen entweder erst gar nicht da rein zu geraten, bzw. wieder aus dieser Falle raus zu kommen.
Mittlerweile müsste jede und jeder den Begriff „Mental Load“ kennen, aber könntest Du ihn dennoch für die Neulinge unter uns nochmals erklären?
Mental Load bezeichnet die „Last des Drandenkens“ und bezieht sich auf den unsichtbaren Teil der Sorgearbeit. Es geht darum, dass in aller Regel eine Frau für alle Personen im Haushalt alles im Kopf hat, alles plant und alle Folgen, Nebenwirkungen und Zusammenhänge überblickt.
Ist Mental Load nur ein Problem für berufstätige Frauen mit oder ohne Kinder?
Nein. Mental Load ist grundsätzlich ein „Frauenproblem“. Denn Frauen wird qua Sozialisation mit auf den Weg gegeben: „Du bist gut im Kümmern.“ Also ziehen sich Frauen diesen Schuh an und kümmern sich: um Partner, um Angehörige, um andere Frauen, um Kinder. Je mehr Kümmerarbeit und je mehr zusätzliche Themen (wie eben eigene Erwerbstätigkeit), desto höher die Belastung.
Warum ziehen sich auch Frauen, die zum Familieneinkommen beitragen oder es vielleicht sogar komplett erwirtschaften, noch immer diesen Mental-Load-Schuh bzw. diese Schuhe an?
Wie gesagt: Sozialisation. Wir Frauen lernen, dass uns das Zwischenmenschliche, das Kümmern im Blut liegt. Wir lernen Glaubenssätze wie „Die Kinder gehören zur Mutter“ und nicht: „Die Kinder gehören zu den Eltern“. Danach richten wir unser Verhalten aus, nehmen den Großteil der Elternzeit, übernehmen Verantwortung bei der Pflege von Angehörigen und unterstützen Freundinnen, die Hilfe brauchen.
Den meisten Frauen ist das gar nicht klar. In Deutschland sind bei 13 Prozent der Paare beide Vollzeit erwerbstätig. Logisch wäre – zumindest bei diesen Paaren, dass beide gleich viel Verantwortung und Sorgearbeit im Privaten übernehmen. Dem ist aber nicht so: Auch in diesen Beziehungen gibt es einen Gender Care Gap – eine Ungleichverteilung der sichtbaren ToDos im privaten Bereich. Frauen übernehmen in dieser Konstellation immer noch 41,3 Prozent mehr Sorgearbeit.
Was sind die Folgen, wenn „Frau“ sich für alles in der Verantwortung sieht?
Das variiert stark je nach Konstellation und persönlichen Ressourcen. Allerdings kann man leider statistisch feststellen, dass viele Frauen unter hohem Stress leiden.
Schaut man beispielsweise in den aktuellen DAK-Report, sieht man, dass 2020 die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland ihren Höchststand hatten. Der Report für das erste Jahr der Pandemie zeigt zudem sehr deutlich: Der starke Anstieg der Krankentage betraf vor allem Frauen. Gleichzeitig gab es bei den Männern fast keine Änderung. Andere Quellen zeichnen ein ähnliches Bild: Es sind in erster Linie die Frauen, die erschöpft sind. Nicht umsonst gibt es etablierte Einrichtungen wie Müttergenesungswerke. Leider.
Ist Mental Load wirklich in erster Linie ein Frauenproblem? Es wird so viel von dem „Neuen Mann“ gesprochen und nicht erst seit gestern.
Nicht ausschließlich, aber zu großen Teilen. Schaut man in das 2021 Update des Väterreports, kann man das Thema „neuer Mann“/„aktive Väter“ wie folgt zusammenfassen: Im Alltag der meisten Familien wird der Trend der aktiven Vaterschaft noch nicht gelebt. In Zahlen ausgedrückt: 45 Prozent der Eltern wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung aber nur 17 Prozent übernehmen sie bereits.
Das spiegelt sich auch in Zahlen zu Elternzeit wider. 58 Prozent der Männer nehmen weiterhin keine Elternzeit und bei denen, die Elternzeit nehmen, hat sich die durchschnittliche Dauer auf 3,4 Monate eingependelt. Der Lebensschwerpunkt von Männern liegt weiterhin bei der Erwebsarbeit und nicht im Privaten.
Sind die Frauen also selbst dran schuld?
Nein. Wenn man überhaupt von Schuld sprechen möchte, dann sind es die Rahmenbedingungen des Systems, die Männer und Frauen in diese Rollenverteilung drängen.
Das Problem ist sehr komplex. Stichwort: Ehegattensplitting, Betreuungsplätze, Pflegeinfrastuktur, Vollzeitarbeit im Umfang von +40 Wochenstunden, (un)bezahlbare Mieten, usw. Überforderung entsteht durch die unzureichende gesellschaftliche Organisation von Sorgearbeit. Unsere Gesellschaft schätzt und bezahlt Erwerbsarbeit und geht davon aus, dass Sorgearbeit unsichtbar, zusätzlich und unbezahlt im Hintergrund stattfindet.
Das Ergebnis ist oftmals: Sie sagt ihm, was er zu tun hat und er „hilft“ im Haushalt. Aber ist das die Lösung?
Das ist eher das Problem als die Lösung. Denn hier bauen wir eine Hierarchie auf. Die Frau ist Projektmanagerin und Wissensträgerin. Der Mann ist Hilfsarbeiter. Die Frau muss sich dann überlegen: Was kann der Mann erledigen? Sie muss initiieren, nachhalten und den Zielerfüllungsgrad kontrollieren. Das macht im worst case sogar zusätzliche Arbeit.
Du hast einen „Mental Load“ Test entwickelt. Ist es realistisch, dass Paare am Ende mit einem 50/50 Ergebnis rauskommen?
Nicht sehr realistisch. Aber es muss auch gar keine 50/50 Verteilung rauskommen. Es muss eine Verteilung rauskommen, mit der beide Parteien zufrieden sind. Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich in Erwerbs- und Sorgeperson aufzuteilen – jedenfalls nicht wenn die Sorgeperson auch mittel- und langfristig finanziell abgesichert ist, also keine Altersarmut droht. Stichwort: Rentengap.
Der Test ist dazu da, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Es ist meist kein böser Wille, dass Paare ungleich leben. Es wird schlichtweg nicht gesehen. Was gesehen werden kann, kann aber gewertschätzt werden und man kann bewusst verteilen. Das ist etwas ganz anderes als wenn man stillschweigend all die unsichtbaren ToDos übernimmt.
Noch immer ist es der Standard, dass der Mann in Vollzeit arbeitet und die Frau in Teilzeit. Vor einiger Zeit geisterte der Begriff „Financial Load“ durch die Medien. Gleicht diese „Load“ die andere „Load“ aus?
Ich finde man sollte alles ernst nehmen, was von den Partnern als Belastung wahrgenommen wird. Natürlich macht Erwerbsarbeit auch Druck und Stress.
Bei einer Aufteilung Vollzeiterwerbsperson – Vollzeitsorgeperson wird nur oft übersehen, dass man nicht 40 Stunden Vollzeit gegen 40 Stunden Vollzeit aufrechnet. Denn im Gegensatz zur Erwerbsperson hat die Sorgeperson nie Feierabend, keine Urlaubstage, kein Wochenende, keine Rente und insbesondere bei kleinen Kindern auch noch Nachtdienste.
Das Beste ist es wertschätzend miteinander zu sprechen und nach Lösungen zu suchen, die beide Partner auf ein Auslastungsniveau bringen, von dem beide sagen können: Damit kann ich gut leben. Einer Familie ist weder mit einem Vater im Burnout noch mit einer Mutter im Burnout geholfen.
Wie wird die Erwerbstätigkeit in Deinem Test gewichtet?
Gar nicht. Es geht im Test um den privaten Bereich. Wer die Erwerbsarbeit einrechnen möchte, der schreibt sich einfach mal in eine tabellarische Übersicht wie viele Stunden, er/sie mit was verbringt und befasst sich mit Zahlen zum Gender Care Gap.
Kann man sagen, dass die Coronazeit und die damit verbundenen Lockdowns geholfen haben, dass alle mal sehen, was es bedeutet „ein kleines Familienunternehmen zu führen“?
Teilweise. Die Ungleichverteilung von Sorgearbeit besteht aber nach wie vor und der größte Teil der zusätzlichen ToDos wurde von Frauen übernommen. Während das männliche Engagement während des ersten Lockdowns noch etwas zunahm, schrumpfte es danach wieder. Frauen haben überproportional oft ihre Erwerbsarbeit reduziert oder ganz aufgegeben, um die zusätzlichen Belastungen zu bewältigen.
Kleiner Lichtblick in den Familien, in denen die Männer aufgrund von Kurzarbeit zwangsweise ihre Erwerbsarbeitsstunden reduzieren mussten, wurde es gerechter.
Befragungen zeigen, dass immerhin bei 21 Prozent der Paare mit Kindern unter 15 sagen, dass Corona zu einer besseren Aufteilung geführt hat.
Was ist Dein ultimativer Tipp, damit Paare erst gar nicht in diese Situation kommen?
Sich mit dem Begriff Mental Load und Gender Care Gap auseinandersetzen und dann regelmäßig über Aufgabenverteilung und die damit verbundenen Folgen sprechen.
Das klingt banal, allerdings zeigen Studien, dass genau das nicht passiert. Gerade in Phasen des Umbruchs (neuer Job, zusammenziehen, Kind wird geboren) sprechen Paare
Patricia Cammaratas Test findet Ihr hier!
Bildnachweis: Pexels – Keira Burton